Die Welt, le 05 février 2016. Hinterm Horizont geht's weiterHinterm Horizont geht's weiter. Vater und Sohn dürfen jetzt auch daddeln: Ulf K. und Marc Lizano beleben die Helden von e.o. plauen neu. Vor dem allerletzten Abenteuer prangte ein Schild: "Liebe Freunde, auf Wiedersehen! Euer 'Vater und Sohn'". Und dann wanderten Vater und Sohn in die weite Welt hinaus. Wie zwei Westernhelden nach erledigter Mission schickte ihr Schöpfer sie in die Bildtiefe, und zwar so weit, bis sie – das war der Gag – die Horizontlinie tatsächlich überschritten hatten, um in den Himmel der ewigen Comic-Helden aufzusteigen. Von dort leuchteten Vater (als Mond) und Sohn (als Stern) in viele Kindheiten hinein.
Noch in den Achtzigerjahren enthielt jedes "Junior"-Apothekenheftchen ihre Geschichten. Warmherzig, ohne Sprechblasen und ohne Frau im Haushalt. Das Plauen von e.o. plauen schien kein Orts-, sondern ein Nachname. Und das e.o. ein Vorname aus Initialen, ein bisschen so wie bei M. J. Fox, dessen Rolle als Marty McFly in "Zurück in die Zukunft" wenig später alle liebten. Jetzt sind Vater und Sohn wieder da. Gewissermaßen zurück in der Zukunft. Der bekannte deutsche Kinderbuchillustrator Ulf K. und sein französischer Kollege Marc Lizano haben die Comicfiguren neu belebt. Mit Respekt und dem Wissen um das, was bisher geschah: Immerhin hatte Erich Ohser alias e.o. plauen seine letzte "Vater und Sohn"-Bildergeschichte bereits 1937 für die "Berliner Illustrirte Zeitung" gezeichnet. Dort waren "Vater und Sohn" 1934 als Bilderserie aus der Taufe gehoben und rasch populär geworden. Wie viele Leser damals wussten, dass e.o. plauen ein Pseudonym war, das Erich Ohser sich zulegen musste, um überhaupt weiter zeichnen zu dürfen? Unter seinem echten Namen wollten ihn die Nazis nicht mehr sehen – ihn, der vor 1933 im "Vorwärts" Hitler- und Goebbels-Karikaturen gezeichnet hatte. Mit Pseudonym nahm man sein zeichnerisches Talent gern: Ideologiefreie Bildergeschichten nutzten dem Regime. Aber nach rund 160 Folgen hatte Ohser "Vater und Sohn" selbst wieder abgeschafft – zu groß war ihr Erfolg, als dass Ohser sich den Begehrlichkeiten der Nazis langfristig hätte entziehen können. 1944, nach einer Denunziation, stellte man ihn wegen Wehrkraftzersetzung vor den Volksgerichtshof. Dem Schauprozess bei Scharfrichter Freisler entzog sich Ohser durch Selbstmord. Nun also das Revival seiner sanften Helden. Vater und Sohn steigen aus dem Firmament herab und kehren zurück in den irdischen Kreislauf der Kulturindustrie, wo noch alles, was je Erfolg, Fans oder auch nur Absatz hatte, gern wiederbelebt wird. Im Fall von Ulf K. und Marc Lizano ist die Renaissance gelungen. Ihr "Vater und Sohn" hat Plan und Charme. Grafisch wie konzeptionell. Rein optisch sind "Vater und Sohn" nicht mehr nur schwarz-weiß, sondern jetzt auch tieforange. Das bringt die sprichwörtliche neue Farbe rein, die so ein Projekt brauchte, um kein reines Remake zu sein. Wo der alte Ohser von Haus aus Karikaturist war und es im Strich auch stets blieb, schimmert bei Ulf K. die ligne claire durch, also jene vereinfacht-reduzierte Variante von Comic, die Wert auf präzise Konturen und farbige Flächen legt. Thematisch lesen sich nicht wenige Abenteuer wie eine Hommage. Sie setzen weniger einzelne Geschichten als Motivkreise fort: Vater und Sohn im Haushalt, bei Spielen und Streichen, bei Pflichten. Die thematische Anbindung an Jahreszeiten ist wie bei Ohser, der wöchentlich erschien, geblieben. Nur die Medienmoderne hat Einzug gehalten: Vater und Sohn haben jetzt einen Flachbildfernseher. Vater und Sohn grillen auch mal vegetarisch, wenn dem Sohn akut klar wird, dass für jedes Stück Fleisch ein Tier sterben musste. Und der Sohn spielt sommers Fußball, zum Leidwesen des Vaters aber nur auf der Konsole unterm Baum. Wenn der Vater ihm die Konsole wegnimmt, erwischt der Sohn ihn später prompt selbst beim Daddeln. Jenseits solcher Anpassungen an den Zeitgeist wirken Vater und Sohn angenehm zeitlos. In ihren besten Momenten scheinen sie, damals wie heute, sowieso nichts anderes als zwei Jungs. Wenn sie einmal beide auf einer Parkbank sitzen, der Vater dabei so ausladend breitbeinig, dass es den Sohn von der Bank ins Gras katapultiert, dann liest sich das wie ein zeichnerischer Kommentar zum derzeitigen Modethema manspreading. Kurioserweise hatte aber auch schon Ohser das Motiv der männlichen XXL-Sitzhaltung im Visier. Zu seiner Zeit wurden Männer im öffentlichen Raum aber noch nicht zum Schließen der Beine aufgefordert, sondern zum Nicht-Ausspucken. Obwohl die Zeit zum Kotzen war. Marc Reichwein.
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